Sexualtherapie bei Sexualstraftaten #Folge79
Text zur Podcast-Folge 79, verfasst von Ismahan
Während ich anfing mich mit meiner mir zugefügten Sexualisierten Gewalt in Kindheit und Jugend, auseinanderzusetzen, sie für mich anzuerkennen und anschließend aufzuarbeiten, wurde nicht nur der Wunsch nach Wegen zu Heilungsprozessen groß, sondern auch das starke Bedürfnis mich mehr mit meiner eigenen Sexualität zu beschäftigen - Sie hierdurch anders zu betrachten, wahrzunehmen und schließlich sie mir erreichbar und erfahrbar zu machen.
Diese Auseinandersetzung fiel mir lange Zeit sehr schwer und war mit viel Schmerz, Trauer und Wut verbunden. Aus therapeutischer Sicht erhielt ich häufig den Hinweis, dadurch die Chance zu haben meine Sexualität neu kennenzulernen und sie sogar neu entstehen zu lassen:
Damit wuchs spürbar in mir die Hoffnung und gleichzeitig der dringende Wunsch, Sexualität als einen Teil zu integrieren, der zu MIR gehört. So entstand im Zuge dessen ein Bewusstsein und damit auch Fähigkeiten, die es mir ermöglichten, meinen Körper auch als meinen zu begreifen und ihn somit für mich zugänglich, wahrnehmbar und spürbar zu erleben.
Im Gespräch zwischen Magdalena und Wolfgang Kostenwein geht es dieses Mal um Sexualtherapie mit Sexualstraftäter*innen: In vielerlei Hinsicht war diese Folge für mich äußerst spannend und lehrreich!
Einerseits aus meiner eigenen, individuellen „Betroffenensicht“ heraus und andererseits aus meiner Perspektive und daraus resultierenden Haltung als Sexualpäagog*in: Das mag im ersten Moment irritierend erscheinen. Für mich ergeben sich jedoch vielfältige Möglichkeiten Themen Sexueller Bildung aus unterschiedlichen Perspektiven miteinander zu vereinbaren. Zusätzlich diese aus unterschiedlichen Blickwinkeln differenziert und kritisch zu beleuchten.
Dabei ist mir besonders der Zugang zur eigenen „Spürfähigkeit“ nachhaltig in Erinnerung geblieben:
Eine Fähigkeit, die im Laufe des Lebens in vielfältiger Weise erlernt werden kann und dabei erheblichen Einfluss auf die eigene Sexualität. Das Repertoire an Möglichkeiten sich selbst und den eigenen Körper zu spüren- ihn und sich selbst zu erregen und somit auf unterschiedliche Weise wahrzunehmen, hängt von individuellen Erfahrungen ab, die wir mit der Zeit in unserem Leben sammeln.
Magdalena und ihrem Gast Wolfgang Kostenwein gelingt es in besonderer Weise auf den hohen Stellenwert, den sexualpädagogische Arbeit und Sexuelle Bildung leistet kann, aufmerksam zu machen. Und zwar so, dass ein Handlungsfeld, das auf den ersten Blick unzugänglich erscheint und hoch problematisch ist, plötzlich greifbar wird.
Wir erhalten die Möglichkeit den gegenwärtigen Umgang mit straffälligen Personen neu zu bewerten und differenziert zu betrachten. Somit können wir uns möglicherweise neuen Perspektiven öffnen und verstehen lernen, wie komplex unser Wissen rund um Sexualität ist und wie sie unterschiedlich auf sämtliche Lebensbereiche wirken kann: Dabei betont Wolfgang Kostenwein: „Wenn ich mich selbst als sexuelles Wesen respektiere, mich in meinen sexuellen Fähigkeiten gesund, zufrieden und wohl fühle, dann ist es mir möglich anderen mit demselben Respekt zu begegnen.“ Infolgedessen kann ein solches Verständnis auch einen Beitrag im Kampf gegen Sexuelle Gewalt leisten.
So sollten wir uns darum kümmern, Menschen darin zu unterstützen, wie sie sich gut spüren können, um eine autonome Sexualität entwickeln zu können.
Sexuelles System verstehen lernen
Wolfgang Kostenwein ist klinischer Sexologe, Sexualpädagoge und psychologischer Leiter des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik und arbeitet u.a. mit Personen zusammen, die aufgrund ihrer ausgeübten Sexualstraftat(en) verurteilt wurden. Häufig werden Sexualstraftäter*innen im Maßnahmenvollzug wenig therapeutisch begleitet. Sollten sie dennoch unterstützt werden, erfolgt meistens eine psychotherapeutische Auseinandersetzung, in der oftmals Tateinsicht und Verantwortungsübername im Vordergrund stehen. Diese müssen auch gegeben sein - Wie zentral dabei aber auch die Einsicht ist, woraus eigenes Verhalten resultieren könnte, bleibt im Umgang mit Sexualstraftäter*innen noch weitestgehend unberücksichtigt.
Dabei könnten sexualpädagogische Perspektiven sie darin begleiten, verübte Tate(en) aufzuarbeiten- vor allem aber: sie verstehen zu lernen. Es ist dabei unbedingt notwendig, sich in sich selbst hineindenken und hineinfühlen zu können. Nur dann kann die eigene Problematik verstanden werden und somit- und das ist ganz zentral- in einen möglichen Zusammenhang zwischen der eigenen Tat und der eigenen Sexualität gesetzt werden.
Spürfähigkeit als menschliche Grundsehnsucht
Laut Wolfgang Kostenwein haben fast alle Menschen vielfältige Möglichkeiten wie sie in Erregung kommen: Das Repertoire an diesen ist bei einigen größer, bei manchen kleiner und wiederum bei einigen eher nebensächlich.
Dabei spielen individuelle Erfahrungen und eine unterschiedliche Bewertung von Sexualität, mit der wir aufwachsen, eine wichtige Rolle. Im Laufe unseres Lebens erlernen wir durch sie eine Vielzahl an Kompetenzen, die Einfluss auf unser Wahrnehmen und Erleben unserer Sexualität haben können. Hierdurch prägen sie uns darin, inwieweit wir unseren eigenen Körper spüren und erleben können und ermöglichen uns somit auf vielfältige Weise Erregung und Lust zu empfinden.
In der Arbeit mit Sexualstraftäter*innen können wir aus diesem Verständnis heraus beispielsweise danach fragen, in welcher Intensität der eigene Körper gespürt werden kann, was gelernt wurde und welche Dinge/Fantasien zu Erregung führen, „um verstehen zu können, warum die Person so ist wie sie ist.“
Aus dieser sexualtherapeutischen Betrachtungsweise ergibt sich eine tief verwurzelte „Grundsehnsucht”, die uns danach streben lässt, uns selbst spüren zu wollen. Je mehr Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, desto mehr Optionen haben wir ins eigene Spüren zu kommen: Je weniger wir ins Spüren kommen, desto mehr Anreize benötigen wir, um uns sexuell aufzuladen, uns hierdurch zu erregen und letztendlich spüren zu können. Diese Anreize können sozial verträglich sein, wie beispielsweise verliebt sein, aber auch sozial eher unverträglich sein, wie „Sex im Freien“. Dann können sie aber auch sozial unverträglich und damit auch überaus problematisch sein: Durch sozial unverträgliche Anreize werden Grenzen anderer massiv missachtet, führen zu schwerem gewaltvollem Handeln und können letztlich auch in Straftaten münden.
Dieser Erklärungshintergrund ist stark vereinfacht und muss selbstverständlich immer differenziert und individuell betrachtet werden. Er bietet jedoch das Potential Lösungsansätze und damit auch Handlungsmöglichkeiten im Ausleben eigener Sexualität anzubieten, die schließlich Sexualstraftäter*innen Alternativen aufzeigen können ohne dabei selbst- und vor allem fremdschädigend zu handeln.
Verkürzt betrachtet sind Sexualstraftäter*innen demzufolge häufig nicht autonom in ihrer Sexualität, verfügen über eine geringe Spürfähigkeit und haben schließlich wenig Zugang zu ihrer eigenen Sexualität. Dabei haben sie wenige Möglichkeiten genitale Lust zu spüren und erfahren über eine Art Aufregungsschiene in Form eines Tabubruchs, beispielsweise einer Straftat, sexuelle Aufladung: Diese führt dann zu einem sexuellen Erregungsgefühl.
Infolgedessen kann Sexualtherapie ihnen dabei helfen einen Zugang zum eigenen Körper zu erleichtern- ihn als eigenes Instrument zu sehen, um bestenfalls mehr ins Spüren zu kommen.
Sexualstraftäter*innen sind Triebtäter*innen
In Sexualtherapie mit Sexualstraftäter*innen geht es also unter anderem darum, die eigene Spürfähigkeit auszubauen und eben nicht darum sie zu reduzieren. Das ist allerdings erst einmal völlig konträr zu dem, wie wir Sexualstraftaten gesellschaftlich bewerten: „So gehen wir davon aus, dass solche Taten begangen werden, weil zu viel Sexualität vorhanden ist.“
Problematisch wird es dann, wenn Sexualstraftäter*innen aus diesem Verständnis heraus behandelt werden: Dabei werden sie häufig vorerst psychotherapeutisch begleitet - ein möglicher Zusammenhang zwischen Straftat und Sexualität wird hierbei noch zu oft vernachlässigt. Fehlt diese Auseinandersetzung wird die gesellschaftliche Vorstellung, Sexualstraftäter*innen handeln aus einem stark ausgeprägten Sexualtrieb heraus, weiterhin gefestigt und aufrechterhalten.
Infolgedessen werden häufig Medikamente verschrieben, die ihnen ihre sexuelle Lust unterdrücken: Denken wir jedoch eine sexualpädagogische Perspektive mit und nehmen wir an, dass gerade fehlende Spürfähigkeit zu Sexueller Gewalt führen kann, begünstigen Medikamente nur noch mehr eine geringe Spürintensität. Folglich steigt die Gefahr über Umwege der Aufregung, in Erregung zu kommen. Dementsprechend werden hochmoralische Schwellen überschritten, in dem Wissen Unrecht zu tun: Je höher folglich die Schwelle, desto mehr Aufregung brauchen sie, um in Erregungsgefühle zu kommen.
Sexuelle Gewalt und Sexualisierte Gewalt
Hierbei könnte zusätzlich eine Unterscheidung von Sexueller Gewalt und Sexualisierter Gewalt hilfreich sein:
Um entscheiden zu können, welche Therapieform geeignet sein kann, um Sexualstraftäter*innen andere Optionen und Handlungsmöglichkeiten zu ermöglichen, ist es notwendig herauszufinden aus welcher Motivation heraus Straftaten verübt worden sind. Sexualisierter Gewalt und Sexuelle Gewalt voneinander zu unterscheiden könnte hierbei sinnvoll sein:
Laut Kostenwein steht bei Sexualisierter Gewalt vor allem Machtausübung im Vordergrund, bei der sexuelle Handlungen funktionalisiert werden. Handelt es sich um Sexuelle Gewalt, steht vorrangig Sexuelle Erregung im Zentrum. Diese wird benötigt, um sich spüren zu können. Einmal steht also Machtmissbrauch im Vordergrund und einmal Sexuelle Erregung. Bei beiden Formen handelt sich dennoch um Gewalt, die mit sexuellen Mitteln ausgeübt wird.
Stark vereinfacht bedeutet das, dass bei Sexualisierter Gewalt eher Psychotherapie sinnvoll wäre, bei Sexueller Gewalt eher Sexualtherapie. Bei beiden Formen ist es jedoch Voraussetzung, dass psychotherapeutische Vorarbeit geleistet wird: Tateinsicht und Verantwortungsübernahme müssen hierfür Grundvoraussetzung sein.
Diese Herangehensweise bringt infolgedessen unterschiedliche Ansätze im Umgang mit Straftäter*innen mit sich. Es geht also nicht darum beide Gewaltformen unterschiedlich zu bewerten und zu verharmlosen, sondern darum wie verhindert werden kann, dass solche Taten weiterhin verübt werden. Dabei kann eine differenzierte Herangehensweise unterstützend sein:
Steht sexuelle Erregung, um die eigene Spürfähigkeit zu maximieren, im Vordergrund ist es aus sexualtherapeutischer Sicht wichtig genau dort anzusetzen: Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die darin unterstützen sich selbst und andere nicht zu gefährden und dabei Möglichkeiten anbietet das eigene Sexuelle System zu beeinflussen und mit positiven, wertschätzenden Erfahrungen zu erweitern.