Text zur Podcast-Folge 81, verfasst von Cleo Libro.
Achtung Premiere! Sie ist für Folge #81 zum zweiten Mal zu Gast im SexOlogisch Podcast! Julia Henchen ist Paar- und Sexualtherapeutin und Autorin ihres kürzlich veröffentlichten Buchs „Lustfaktor“. Sie betreibt auf Instagram (@lustfaktor) Aufklärung über Mythen und falsche Vorstellungen über Sex, die noch immer in unseren Köpfen grassieren und bietet Sexualtherapie nach systemischem Ansatz in ihrer eigenen Praxis an. Magdalena ist also erneut im Gespräch mit einer direkten Kollegin!

Die beiden sind sich dementsprechend einig: Sexualtherapie in Anspruch zu nehmen bedeutet nicht, dass man „komisch“ oder „nicht in Ordnung“ ist. Zufriedenheit mit der eigenen Sexualität ist Teil der mentalen Gesundheit und genauso zu Unrecht tabuisiert wie viele andere Aspekte im Bereich mental health und Therapie. Um diesen Tabus und weit verbreiteten Mythen über (Solo-)Sex etwas entgegen zu setzen, hat Julia ihre persönlichen Erfahrungen in einem Schreibprozess von über einem halben Jahr zusammengefasst und ihr Buch „Lustfaktor“ entstehen lassen. Ein spannender und nervenaufreibender Prozess bei dem sie selbst vieles aus ihrer eigenen Sexualbiografie reflektiert hat.
Neben Erfahrungen aus der sexualtherapeutischen Praxis und vielen praktischen Übungen geht es in „Lustfaktor“ hauptsächlich um die Frage, wie sich Stereotype und stigmatisierende Glaubenssätze über Sexualität, die in weiten Teilen unserer Gesellschaft noch aktiv sind, auf unser Sexleben auswirken. Eine weitere zentrale Frage des Buches ist: Was beeinflusst deine individuelle Lust, deine Masturbationspraxis und wie kann Solo-Sex dir helfen, Lustprobleme beim Paarsex zu überwinden?
Cock’n’Clit Blocker – Was der Lust im Weg steht
Ganz konkret kannst du dich, wenn dich deine akute Unlust auf Sex stört, fragen: Was hindert mich daran, in meine Lust zu kommen? Ein „Klassiker“, der Julia und Magdalena in der Praxis häufig begegnet, ist Unsicherheit. Eine milde bis große Verunsicherung in Bezug auf das eigene Erscheinungsbild und das Verständnis der eigenen sexuellen Performance. Das klingt oft so: „Ich bin nicht schön genug/zu dick für Sex.“ Oder so: „Ich bin nicht sinnlich genug und langweilig im Bett.“
Solche Ängste entstehen meistens durch den Vergleich mit der Darstellung von „anspruchsvollem“ und erstrebenswertem Sex in unserem Umfeld oder in den Medien. Zwar ist Offenheit für Einflüsse von außen prinzipiell gut, aber wenn sich alles zum Leistungsdruck auswächst, unbedingt immer optimierter, erfolgreicher und heißer im Bett zu werden, bleibt die tatsächliche Lust am und auf Sex irgendwann unweigerlich auf der Strecke.
Der Blick auf Neues kann die Lust zwar auch „düngen“, aber wirkt vor allem hemmend, wenn man sich selbst nach dem Vergleich als unzureichend abstempelt, anstatt zu überlegen, wovon das eigene Lustrepertoire ergänzend profitieren könnte, so Julia. Und das nur, wenn du wirklich Bock darauf hast! Ängste und Gedanken hingegen, die uns einschüchtern und klein machen, schränken auch das Lustempfinden und die Fähigkeit zum Aufbau von Erregung ein.
Aber was kannst du tun, wenn du an dir selbst Muster negativer und „klein machender“ Vorstellungen über dich und deine eigene Sexualität wiedererkennst? Zunächst können diese Vorstellungen gesammelt, aufgeschrieben oder ausgesprochen werden. Das reicht manchmal sogar schon, um Gelächter oder Tränen und dadurch Erleichterung auszulösen, weil dir bewusstwird, wie lachhaft oder böse bestimmte Gedanken sind, die du dir vorbetest.
Reframe your believes – Glaub nicht alles, was du über dich denkst!
In der systemischen Sexualtherapie wird versucht diese Situation zu verbessern, indem ein Reframing der negativen Gedanken vorgenommen wird. Es wird also gefragt, was an den Vorstellungen über die eigene Sexualität gut sein könnte anstatt schlecht. Und in welcher Weise man eine negative Annahme über sich selbst positiv umbesetzen kann. Der Glaubenssatz „Ich bin nicht schön genug für Sex“ wird auf diese Weise auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft und dann zu „an manchen Tagen fühle ich mich nicht schön genug für Sex“ präzisiert.
Von einem positiveren Blickwinkel aus betrachtet, kommt heraus, dass man sich an anderen Tagen wiederum tatsächlich schön genug für Sex fühlt. Diese Schwankungen im subjektiven persönlichen Empfinden und auch in der Lust werden wahrgenommen und zueinander in Beziehung gesetzt. Das ergibt oft eine neue Perspektive auf die eigene Denkweise und hilft dabei, verständnisvoller mit sich selbst zu umzugehen. Positiver und nachsichtiger über sich selbst zu denken, erfordert ein wenig Zeit und Training, wenn man normalerweise in negativen Bewertungsmustern denkt. Also üben, üben, üben!
Warum Solo-Sex eine größere Rolle spielen sollte
In Julias Buch geht’s außerdem darum, wie man sich mithilfe von Solo-Sex neu entdecken und sich für sich selbst zu interessieren lernen kann. Generell ist Masturbation immer noch ziemlich schambehaftet, besonders bei weiblichen und weiblich gelesenen Personen. Hinzu kommt noch das ungerechtfertigte „No Go“, als das viele Leute Selbstbefriedigung betrachten, wenn man sich gerade in einer Beziehung befindet.
Dabei ist Masturbation kein reiner Ersatz für Paarsex oder ein Seitensprung sondern buchstäblich ein Akt der Selbstliebe und trägt zur Selbstakzeptanz bei. Die meisten Menschen lieben sich nicht jeden Tag absolut selbst, aber das sei auch nicht das Ziel. Selbstliebe bedeutet für Julia verständnisvoll zu sein und ein liebevolles Hinblicken auf und Akzeptieren der eignen Person. Selbst wenn gerade nichts so richtig gut funktioniert – auch beim (Solo-)Sex! Daher wurde das zugänglich machen von Tipps und Infos über Masturbation besonders für Menschen mit Vulva zur Hauptmotivation für Julia, um ihr Buch „Lustfaktor“ zu schreiben.
Denn es gibt auch weiterhin die gesellschaftliche Annahme, Frauen oder Personen mit Vulva hätten weniger Lust als Menschen mit Penis, weshalb Sex auch viel peniszentrierter gedacht wurde und wird. Dabei stehen solche stereotypen Zuschreibungen, wer mit wem wie viel Lust haben darf, vor allem denjenigen im Weg, die mit ihrem Sexleben unzufrieden sind und Dinge verändern oder neu denken möchten.
Kein Druck! Es ist doch nur Sex
Gerade fehlende oder ungleich verteilte Lust macht besonders in Paarbeziehungen immer wieder Probleme und schafft Unsicherheiten, mit denen die Menschen dann in Julias oder Magdalenas Therapien erscheinen. Aber MUSS man gegen Phasen der Unlust unbedingt etwas unternehmen? Darf man nicht auch Lust an der Unlust haben?
Julia bejaht das! Als Sexologinnen wird Magdalena und ihr häufig vorgeworfen die Wichtigkeit von Sexualität zu überhöhen und Themen nicht zu enttabuisieren, sondern lediglich breit zu treten. Sodass sie dadurch selbst den Druck ausüben würden, dass alle Leute immer alles ausprobieren müssten. Dabei liegt den beiden nichts ferner als Druck aufzubauen! Denn der ist der natürliche Feind von Lust und dennoch ständiger Begleiter von vielen Themen rund um Sexualität.
Stattdessen kann es helfen sich die Frage zu stellen, was genau die eigene sexuelle Biografie geprägt hat. Wie wurdest du über Sex aufgeklärt? Verschämt oder offen? Was hindert dich daran, in deine Lust zu kommen, was setzt dich unter Druck und wie können alte Muster aufgebrochen werden? Hast du das nötige anatomische Wissen oder erliegst du noch Mythen über Körper und Sexualität?
Auch Julia ist an einem Punkt gestartet, an dem sie mehr Mythen als Fakten und Praxiswissen über Sex verinnerlicht hatte. Auch sie hat erst mit Mitte 20 zum ersten Mal die vollständige Darstellung einer Klitoris gesehen und musste sich ihr Bewusstsein über ihren Körper, seine Beschaffenheiten und Präferenzen erst erarbeiten. Sie weiß, das lohnt sich!
Dieses Lernen ist in ihren Augen ein wichtiger Prozess, um die eigene sexuelle Biografie abzutasten und einen Zugang zu tatsächlicher sexueller Selbstbestimmung zu erlangen. „Ständiges Selbststudium“, das sich auch in der riesigen bestehenden Forschungslücke über weibliche Körper und Sexualität begründet, bildet die Basis und das Tagesgeschäft der beiden Sexualtherapeutinnen. Aus diesem Grund ist „Lustfaktor“ ein Mitmach- und Ausprobierbuch geworden, das die Einladung bietet, die eigene Sexualität neu zu erleben und lustvolle Erfahrungen zu machen.
„Macht euch nicht so viel Druck, es ist letztendlich nur Sex!“, gibt Julia allen Hörer*innen von sexOlogisch am Ende noch mit auf den Weg.
Über Cleo Libro

Im Frühling 2018 kam Cleo zur Welt, als ich mir diesen Namen gab, um zum ersten Mal in einem Podcast über meine offene Beziehung zu sprechen. Mit den Jahren gesellten sich weitere Themen zu meinem regelmäßigen Tabu-Kaffeeklatsch: Weibliche Sexualität, Dating, Masturbation, Konsens und weiteres aus dem Bereich „Lust und Frust einer promisken Frau.“
Seit Januar 2021 existiert mein Blog Cleographie, wo ich meine in Schrift gefassten Gedanken und Erfahrungen zu Non-Monogamy, Zwischenmenschlichkeit und Feminismen veröffentliche. Eine Bauchidee, die stetig zu einem Herzprojekt heranwuchs, weil sie meine Begeisterung für Sprache, Schriftmedien und Sexualität vereint.
Kommunizieren komplettiert mich. Neues lernen fasziniert mich. Schreiben ist mein Versuch etwas von dieser Energie weiterzugeben.
Insta: @cleo.libro
Beschreibe dich in 3 Worten: mitteilsam, mitfühlend, mitreißend
Worin bist du besonders gut: Genießen und mich für etwas begeistern
Was sind deine absoluten Herzensthemen: Alternative Beziehungskonzepte, Kommunikation, Selbstbestimmung und generell alles Zwischenmenschliche oder Sexuelle, das tabuisiert wird.
Welche Kondomsorte wärst du und warum?
Ich wäre ein Kondom von Releaf, weil es super nice riecht/schmeckt, angenehme Haptik und Feuchtigkeit hat und für meine Anwendung ein neuer Baum gepflanzt würde. Außerdem hätte mein Hersteller dann einen guten Humor: Ich sag nur, „Forst pflanzen anstatt fortpflanzen“, hihi.
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