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Magdalena Heinzl

Sexualisierte Gewalt bei Kindern und Jugendlichen – Kommt, lasst drüber reden!

Beitrag zur Podcastfolge 43 - "Sexueller Missbrauch & Prävention" des sexOlogisch Podcast verfasst von Ismahan El-Alaoui


Ich weiß, wir hören diese Worte, unser Atem stockt und Unbehagen breitet sich aus.

Doch lasst uns kurz innehalten, denn: Erfahrungen sexualisierter Gewalt sind NIE Probleme einzelner Personen, sondern geschehen immer innerhalb einer Gemeinschaft, eines Systems, in dem wir uns alle bewegen und für das wir alle verantwortlich sind. Lasst uns gemeinsam wieder aufatmen, denn das Schöne ist:

Wir alle haben die Möglichkeit in unserem täglichen Miteinander vermeintliche Tabus zu brechen, auf Anzeichen zu achten, vorzubeugen und uns vor allem zuzuhören.

Problematisch ist, dass wir bei sexualisierter Gewalt gleich zwei Konzepte vorfinden, die auf den ersten Blick tabuisiert, schambehaftet und mit großer Unsicherheit und Angst verknüpft sind. Dabei scheint es auf den zweiten Blick doch völlig absurd, denn wir sprechen mit unseren Kindern auch über gesunde Ernährung, bringen ihnen Verkehrsregeln bei und stärken sie im täglichen Umgang mit anderen Kindern und Erwachsenen. Fühlt sich easy an und geschieht so ganz nebenbei.


Bei sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen scheint es aber anders zu sein: Dieses Thema möchte mensch nicht näher betrachten; mit Kindern über Sexualität, Körper und Gefühle zu sprechen wird oftmals lange ausgeklammert und auf unbestimmte Zeit verschoben.

Widerum ist uns allen bewusst, dass Gewalt etwas ist, dass niemanden widerfahren darf, und doch geschieht sie täglich. Die Vorstellung, dass Sexualität funktionalisiert wird, um an Kindern und Jugendlichen Gewalt auszuüben, ist undenkbar.


Definition Sexueller (Kindes)missbrauch


Den meisten Menschen ist der Begriff sexueller Kindesmissbrauch geläufiger. In der Fachpraxis, der Wissenschaft und unter Betroffenen wird sexueller Kindesmissbrauch heutzutage jedoch immer weniger verwendet. Denn er impliziert, dass es auch einen richtigen „Gebrauch“ an sexualisierten Handlungen gegenüber Kindern und Jugendlichen geben muss.

Weiterhin fällt auf, dass der Fokus oft noch vorrangig auf physischen Verletzungen liegt, dabei aber die psychische Dimension vergessen wird.

Daher bietet folgende Definition ein größeres Spektrum an Möglichkeiten an: „Ganz allgemein verstehen wir unter sexualisierter Gewalt all diejenigen Formen eines sowohl physischen als auch psychischen sexualisierten Kontakts, die nicht auf einem konsensualen Einvernehmen beruhen. So können z.B. je nach Kontext und Situation eine sexualisierte Sprache sowie sexualisierte Bilder und Gesten als sexualisierte Gewalt erlebt werden.

Sexualisierte Gewalt wird dabei oft von anderen Formen der Gewalt begleitet, wie z.B. von verbalen, psychologischen, finanziellen und weiteren Formen physischer Gewalt. Hieraus kann sich ein Muster der wiederholten Gewalt ergeben, gerade in intimen Partner:innenbeziehungen, in romantischen Beziehungen, in Familien oder gegenüber Kindern.“, RESPONS 2018, S.33.

Was wir uns dabei immer wieder bewusst machen sollten: Sexualisierte Gewalt steht niemals für sich allein, sondern hängt IMMER mit Machtverhältnissen, (patriarchalen)

Gewaltstrukturen und Diskriminierungsformen zusammen, die zur Demütigung und Unterdrückung Betroffener (Kinder und Jugendliche) verwendet werden.


Wo fängt Sexualisierte Gewalt bei Kindern und Jugendlichen an?


Es ist sehr schwierig eindeutig festzulegen, wann von Sexualisierter Gewalt auszugehen ist. Wir alle haben unterschiedliche Erfahrungen gesammelt und sind von verschiedenen Werten geprägt worden, die uns auf jeweils andere Weise auf Grenzverletzungen reagieren lassen.


Strafrechtlich gesehen, handelt es sich dann um sexualisierte Gewalt, „wenn sexuelle Handlungen am Körper des Kindes stattfinden oder der Erwachsene bzw. Jugendliche sich entsprechend anfassen lässt. Sexualisierte Gewalt findet auch dann statt, wenn der Körper des Kindes nicht direkt einbezogen wird oder dem Kind gezielt pornografische Darstellungen gezeigt [werden] oder es zu sexuellen Handlungen an sich selbst aufgefordert wird.“



Mythen und vorherrschende Rollenbilder


Wir alle kennen sie, die Sätze, die uns schon seit unserer Kindheit begleiten: „Meidet dunkle Ecken und geht mit keinem Unbekannten mit“. Leider finden sich schon hier problematische Denkmuster und Strukturen, die sich tief in uns allen manifestiert und eingeprägt haben.


Nämlich die, dass ausschließlich männlich sozialisierte Menschen Täter sein müssen und einzig weiblich sozialisierte Kinder und Jugendliche Betroffene sind. Tatsächlich gibt es aber sowohl Täter:innen jeden Geschlechts, als auch Betroffene jeglicher Geschlechtsidentität. So ist die Tatsache, dass auch Menschen, die sich als Frau identifizieren, sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ausüben, zwar irritierend. Sie findet aber dennoch häufig statt. Diese Vorstellung ist deshalb so verwunderlich, weil wir noch heute mit klassisch-traditionellen Vorstellungen von „Weiblichkeit“ und einem stereotypen

„Frauenbild“ aufwachsen. Genauso aber verhält es sich auch mit hegemonialer Männlichkeit (sichtbar durch toxische Männlichkeit).

Das Tolle aber ist, dass wir auch hier die Möglichkeit haben, diese Mythen und Rollenbilder miteinander zu diskutieren, zu hinterfragen und bestenfalls zu durchbrechen.


Ein weiterer Mythos ist, dass Täter:innen Unbekannte sind, die uns in dunklen Ecken auflauern. Dabei sind es gerade mal maximal ein Viertel aller Täter:innen, die unbekannt sind, die aber zugleich die größte Aufmerksamkeit erfahren. Fakt ist jedoch, dass in den meisten Fällen (50%) die Täter:innen aus dem Nahumfeld stammen, und zwar unabhängig vom sozialen Milieu, in dem Kinder und Jugendliche aufwachsen. Es sind Familienmitglieder, Lehrer:innen, Erzieher:innen, Trainer:innen, Freund:innen.

„Jede:r ist verletzungsmächtig, auch wenn manche Personengruppen diese Macht wesentlich öfter ausüben.“ RESPONS 2018, S.35.

Wir alle leben als soziale Wesen in Systemen und sind automatisch voneinander abhängig und somit auch immer gefährdet verletzbar zu sein. Kinder und Jugendliche gehören noch einmal mehr zu einer vulnerablen Gruppe, weil wir in Strukturen leben, die diese Abhängigkeit zwischen Kindern und Erwachsenen aufrechterhält.


Täter:innen Strategien


Für eine Vielzahl von Täter:innen ist die Wahl eines pädagogischen Arbeitsumfeld kein Zufall, sondern eine bewusste Strategie, die ihnen einen dauerhaften Zugang zu Kindern ermöglicht. Sie nutzen die eigene Überlegenheit aus und manipulieren systematisch die Gefühle der Kinder – lasst uns immer bitte daran denken: Kein Kind kann sich alleine schützen, Erwachsene tragen Verantwortung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen.


Yallah Prävention!


Wenn wir Täter:innen jegliche Grundlage entziehen wollen, sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen auszuüben, dann kann Prävention eine Möglichkeit sein, und das Schöne daran ist: es macht unglaublich viel Spaß! Kinder dabei zu unterstützen ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung einzufordern, ihnen dabei zu helfen, eigene Grenzen zu erkennen und durchzusetzen und ihnen die Sprache für den eigenen Körper und Gefühle zu geben, kann auch für Erwachsene selbst heilsam und befreiend sein. Es ist wichtig und notwendig, über den eigenen Körper selbst zu bestimmen, von Anfang an ein positives Verhältnis zum eigenen Körper entwickeln zu dürfen, ihn als liebenswert, schützenswert und einzigartig wahrzunehmen.


Also lasst uns in Zukunft, wenn wir unseren Kindern die nächste Verkehrsregel erklären, daran denken, wie unglaublich cool und hilfreich es ist, im nächsten Gespräch zu sagen:

„Hey, vertraue deinem Gefühl! Das, was du fühlst ist richtig und ich glaube dir! Das, was sich nicht gut für dich anfühlt, das helfe ich dir zu benennen und deine Grenze zu verteidigen. Denn du hast ein Recht auf gewaltfreie Erziehung!“


Über Ismahan El-Alaoui

Hi, ich bin Ismahan und lebe mit meinen fünfjährigen Zwillingen in Berlin. Ich habe lange Kulturwissenschaften studiert, dann erfolgreich abgebrochen- in den letzten Jahren immer mal wieder an verschiedensten Projekten mitwirken dürfen. Derzeit bin ich Mitglied im Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und schon bald in Weiterbildung zum:zur Sexualpädagog:in, auf die ich mich schon unfassbar freue!

Meine Herzensthemen sind sexuelle Bildung, Kinderschutz und intersektionaler Feminismus.

Ansonsten würde ich mich als witzig, zugewandt und super neugierig beschreiben. Ich bin gut darin, Menschen einfühlsam und mitfühlend zu begegnen.

Wenn ich ein Kondom- oder Lecktuch/Gleitgelsorte wäre, dann würde ich immer so geschmacksneutral wie möglich wählen, weil ich´s unverfälscht und ehrlich mag.


Mein instagram-account ist: lola_oui und meine Betroffenenratsseite UBSKM diese hier: https://beauftragter-missbrauch.de/betroffenenrat/der-betroffenenrat#e23774

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