Gastbeitrag von Katharina Maierl
Sexuelle Bildung aus medienpädagogischer Perspektive: Mediensexualität & Pornografie - Wie Bezugspersonen Heranwachsende im Digitalzeitalter in ihrer sexuellen Bildung unterstützen können.
Stefan zeigt Elias einen Porno, den er gerade zugesandt bekommen hat. Sara sieht sich YouTube-Videos zum Thema Oralverkehr an. Paul chattet mit anderen Bisexuellen in einem Onlineforum. Und Luisa schickt ihrem Freund ein Bild von sich in Unterwäsche. Digitale Medien gehören zu unserem Alltag und sind zentrale Informationsquellen. Heranwachsende sind durch das Internet mehr und mehr mit sexuellen Darstellungen und Informationen konfrontiert. Um Jugendliche in ihrer Mediensexualität zu begleiten, könnte folgende medienpädagogische Sicht hilfreich sein:
(digitale)Medien gehören zu unserem Alltag
Digitale Medien sind eine Erweiterung unserer Kommunikation – kein Ersatz
Alle Bezugspersonen haben eine Verantwortung und können die Medienwelten der Jugendlichenmitgestalten
Begleitenstatt verbieten: ausprobieren lassen und Interesse an der Lebenswelt zeigen
Auch Heranwachsendewissen nicht alles
Lehrpersonen, Pädagog*innen, Eltern und Peers sind einflussreiche Ressourcen beim Medienkompetenzerwerb
Medienkompetenz bedarf auch soziale Kompetenz und Reflexion
Medien sind an sich neutral (weder gut noch böse): es kommt darauf an, was wir Menschen daraus machen (Chancen und Risiken erkennen)

Medien- und Sexualerziehung kann auch als ‚Verkehrserziehung‘ betrachtet werden. Wie beim begleitenden Überqueren der Straße den Kindern gelernt wird, vorher nach links und rechts zu schauen, um zukünftig das heranwachsende Kind alleine ‚unfallfrei‘ gehen zu lassen, sollte eine Begleitung durch Erwachsenen zum selbstständigen Handeln auch in der Mediensexualität den Heranwachsenden bereitgestellt werden. Erwachsene sollen also eine begleitende Funktion einnehmen, die jedoch nicht mit Kontrolle verwechselt werden sollte. Die Kinder und Jugendlichen sollen sozusagen auch online zur Hand genommen werden, was Interesse an der Medienwelt des Kindes voraussetzt. Auch gemeinsam vereinbarte Medienregeln die altersentsprechend auch immer wieder veränderbar sind, können förderlich bei der Begleitung wirken.
Doch wie können Kinder und Jugendliche unterstützt und gefördert werden? Wie kommen sie zu ‚richtigen‘ Informationen? Und was können Bezugspersonen tun?
„Suchmaschine, was ist Sex?“
Das World Wide Web bietet immer und überall Antwort auf offene Fragen und natürlich auch zum Thema Sexualität. „Die ersten Google-Treffer sind meist Jugendzeitschriften (BRAVO, Men’s Health usw.), unseriöse Gesundheitsportale, Ratgeberportale und Onlineforen, die Onlineenzyklopädie Wikipedia, Social-Media-Plattformen“ (Döring, 2017c, S. 1022).Die online Informationsflut ist nicht nur ein Segen, denn sie kann die Suche auch erschweren (z.B. Erkennen von Falschinformationen). Teilweise ungefiltert werden die Onlineinformationen von Heranwachsenden aufgenommen. Das wird dann zum Problem wenn die Quellen keine seriösen Inhalte vorweisen und falsche Informationen weiterverbreitet werden. Besonders bei Fragen zur Sexualität, Körper und Gefühle erscheint das auf Mythen aufgebaute Wissen problematisch zu sein. Problematisch deshalb, weil möglicherweise ein realitätsfernes Bild von Sexualität erzeugt wird, das sich durch Angst äußert und geglaubt wird Dinge tun zu müssen, die eigentlich gar nicht gewollt sind. Auch der Vergleich von medialen Körpern kann zur Verzerrung des eigenen Körperbilds führen und sogar zu „Körperbildsstörungen“ führen (vgl. Schemer, 2003). Aber auch falsche Informationen zu Schwangerschaft, Geschlechtskrankheiten und Verhütungsmittel können eine Gefahr darstellen.
Beim Thema Suchmaschinen darf auch nicht vergessen werden, dass bei jeder Google-Suche Datenspuren hinterlassen werden und man bei der Suche zu so einem intimen Thema besser eine ‚privatsphärefreundliche‘ Suchmaschinen wie DuckDuckGo benutzen sollte. Zudem kann es unangenehm sein, wenn der Gesuchte sexuelle Begriff nochmal bei der nächsten Suche erscheint. Manchen Suchverlauf möchte man nicht mit Anderen teilen, daher ist es wichtig regelmäßig seinen Browser-Verlauf und die Cookies zu löschen.
Dabei ist es für Bezugspersonen nicht nur wichtig zu wissen, dass sich Heranwachsende im Web informieren, sondern auch wiesie sich informieren. Im folgenden Abschnitt sollen pornografische Inhalte als kritische Informationsquelle für Kinder und Jugendliche betrachtet werden.

Pornografie(kompetenz)
„Medien präsentieren häufig problematische (z.B. klischeehaft, glorifizierend, diskriminierend, gewaltverherrlichend) Sexualitätsdarstellungen“ (Döring, 2017c, S. 1016). Vor allem auf sogenannten Mainstream-Pornoseiten sind meist übertriebene einseitige sexuelle Darstellungen, in denen häufig einer* dominiert zu finden.
Sie werden häufig von Männern für Männer produziert und stellen insbesondere die Darstellerinnen als Objekte dar und es zeigt sich somit auch eine gewisse männliche Dominanz. Nicht nur die Objektivierung von Personen kann ein falsches Bild von Sexualität erzeugen, sondern auch die fehlenden Elemente Liebe und Vertrauen, die für die meisten Menschen in Zusammenhang mit Sexualität bedeutsam sind. Wenn Heranwachsende beispielsweise den Suchbegriff „Sex“ in die Suchmaschinen eingeben, erreichen sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Mainstream-Porno Website. Wenn die Kinder und Jugendliche dann die gesehen Inhalte nicht kritisch mit ihren Vertrauenspersonen besprechen, können Bilder und Vorstellungen von Sexualität entstehen, die kaum der Realität entsprechen.Allerdings dienen Pornos nicht nur als Informationsquelle, sondern haben auch andere Motive (vgl. Döring).
Warum schauen Menschen Pornos?
· Information: nirgends wird Sexualität so deutlich dargestellt, wie in Pornos
· Ablösungsprozess: Infos werden nicht mehr von den Eltern eingeholt, sondern von Peers und dem Internet
· Dazugehören: nicht der*die einzige sein, der*die keine Pornos schaut
· Mutprobe: je ekliger, abschreckender, brutaler, umso ‚besser‘
· Selbstfindung: außergewöhnliche Praktiken werden unzensiert dargestellt
· Anonymität: Antworten auf Fragen, die man sich nicht zu stellen traut oder die unbeantwortet bleiben
· Sexuelle Erregung, Unterhaltung, Spaß, Langeweile, Zufall
Hier möchte ich besonders betonten, dass Heranwachsende auch zufällig auf eine Pornoseite (z.B. durch ein kostenloses Online-Game) stoßen können.
Auch wenn Mainstream-Pornos meist keine seriöse Quelle darstellen, darf nicht vergessen werden, dass das Suchen nach Informationen zur Sexualität etwas ganz natürliches ist. Die Bedürfnisbefriedigung liegt darin, für sich persönlich brauchbares Wissen zu generieren. Sich über Sexualität zu informieren gehört demnach zu einer gesunden Entwicklung. Hilfreich könnte also sein, wenn Kinder und Jugendliche auch über Pornografie aufgeklärt werden.Pornografie ist nichts anderes als die direkte Darstellung von Sexualität, der den Zusehenden erregen sollte. Sexualpädagog*innen veranschaulichen Mainstream-Pornofilme gerne mit dem Beispiel des Agentenfilms: Nur, weil jemand unzählige Agentenfilme gesehen hat, ist er* noch lange kein Agent. Daher machen Pornofilme einen auch nicht zur*/zum Sexualexpert*in. Außerdem werden die meisten Mainstream-Pornos ähnlich wie die Film-Genre Action- und Horrorfilme produziert. Es gibt ein Skript und Kameras, sowie auch Personen, die rundherum stehen und zusehen (meist andere Darstellende). Es passiert viel, auch Extremes und die Aktion wird mit lautem Gestöhne untermauert. Wie in Horrorfilmen wird meist mit Fake-Körperflüssigkeiten (z.B. Kunstblut) nicht gespart, so wird eben auch bei Mainstream-Pornofilmen häufig reichlich Fake-Körperflüssigkeiten (z.B. Joghurtmischung als Spermaersatz) verwendet. Die Kompetenz das handelnde Geschehen zu hinterfragen und seine eigenen sexuellen Wünsche nachzugehen nennt Döring auch Pornografie-Kompetenz: „Wer die eigenen sexuellen Bedürfnisse besser kennt und artikulieren kann, wird auch gezielter und bewusster mit sexuell expliziten Medien umgehen können“ (Döring, 2011, S. 241). Das bedeutet also für Bezugspersonen, die Heranwachsenden nicht zu verurteilt, wenn sie sich unseriöse Informationen aus dem Netz ziehen, sondern sie mit seriösen Informationen auszustatten. Die Bezugspersonen sollen eine Position einnehmen, aber die Heranwachsenden dabei nicht schuldig sprechen. „Nur dort, wo Erwachsene selbst keine klare Position beziehen oder Verunsicherung zeigen, greifen Kinder auf mediale Figuren als Modelle zurück. Dies kann zum Beispiel auf Sexualität, Beziehungsverhalten oder Konfliktkulturen der Fall sein“ (Süss, 2016, S. 46). Das bedeutet nicht, dass Eltern beim Thema Sexualität auf alle Fragen eine Antwort haben müssen, aber eine offene und positive Haltung dem Thema gegenüber. Sie sollen den Heranwachsenden zur Verfügung stehen und ehrliche, klare Antworten auf ihre sexuellen Fragen geben. Wenn es vorkommt, dass die Bezugsperson die Frage nicht beantworten kann, ist beispielsweise das gemeinsame recherchieren eine Alternative. Das Internet bietet ebenfalls seriöse Angebote, wie Online-Beratung, Informationen und Workshops auf diversen einschlägigen Internetseiten wie www.s-talks.atoder www.rataufdraht.at. Beim Recherchieren können auch Erwachsene das ein oder andere dazulernen. Denn sexuelle Bildung bedeutet lebenslanges Lernen.
Literatur
Döring (2011): Pornografie-Kompetenz: Definition und Förderung. In: Zeitschrift für Sexualforschung, 24(03), S. 228-255.
Döring (2017c): Sexualaufklärung im Internet – Von Dr. Sommer zu Dr. Google. In: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz,60(9), S. 1016-1026.
Schemer (2003): Schlank und krank durch Medienschönheiten? Zur Wirkung attraktiver weiblicher Medienakteure auf das Körperbild von Frauen. In: M&K Medien & Kommunikationswissenschaft, 51(3-4), S. 523-540.
Zur Autorin

Katharina Maierl, MA ist Erziehungswissenschaftlerin, Medien-pädagogin und seit 2016 für die EU-Initiative saferinternet.at tätig. Sie bietet Workshops für die Zielgruppen Volks-schulkinder bis Senior*innen an. Frau Maierl ist Lehrendean der FH Hagenberg (Studiengang: Kommunikation, Wissen & Medien) für "Medienpädagogik" und "Pädagogik und Didaktik" und wissenschaftliche Projekt-mitarbeiterin. Beim Forschungs-projekt "Chancengleichheit für die digitale Zukunft" setzt sie sich mit der Entwicklung von Medienkompetenz bei sozial benachteiligten Jugendlichen auseinander. Zudem ist sie Sexual-pädagogin i.A. beim Verein PIA (Linz).
Medienpädagogische Workshops sind bei Frau Maierl buchbar unter: katharina@maierl.me
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Buchstabe Nummer 4 (also 4.12.2020)
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