Text zur Podcast-Folge 75, verfasst von Cleo Libro.
Für Folge #75 hat sich Magdalena die Sexualpädagogin und Social Media Sex Education-Ikone Gianna Bacio eingeladen, um mit ihr über ihr neues Buch „Love Your Sex“ zu sprechen. Praktischerweise gibt’s darin nämlich jede Menge Impulse dazu, wie wir alle – ja auch die Sexpert*innen – ihr sexuelles System mit Mitteln erweitern können, die wir alle sowieso schon am Start haben.
Wir müssen sie nur trainieren! Wie das geht, berichtet Gianna nicht nur täglich auf ihren TikTok und Insta Accounts, sondern dieses Mal auch im sexOlogisch Podcast!
Gianna, gibt’s ne Formel für guten Sex?
Gianna Bacios neues Buch bietet viele Ideen, um die eigene Sexualität aus einer neuen Perspektive zu entdecken und ist maßgeblich inspiriert durch das Konzept des „Sexocorporel“. Das ist ein sexualtherapeutisch-sexologischer Ansatz, der Sexualität als grundlegenden Teil unseres Mensch-Seins versteht und sie daher in all ihren Aspekten beforschen und erfahrbar gestalten möchte.
Klingt nach viel? Ist es auch! Dieses Konzept kann einen sogar richtig erschlagen mit Informationen, Erkenntnissen und Einsichten! Diese Reichhaltigkeit macht es aber auch so hilfreich. Aus diesem Grund war es Giannas Ziel die Sexocorporel-Inhalte in ihrem Buch zu vermitteln, ohne damit zu überfordern. Und das schafft sie, sowohl auf Social Media als auch in „Love Your Sex“ in einem leichten und unverblümten Tonfall, der viele Menschen anspricht und ihnen Teilhabe ermöglicht.
Denn viele Leute wollen Antworten und Lösungen für ihre sexuellen „Probleme“ finden und am liebsten lernen, selbstwirksam daran zu arbeiten. Häufig werden Magdalena und auch Gianna gefragt, was man gegen Unlust machen kann oder wie man es schaffen kann, nicht zu schnell zum Orgasmus zu kommen? Der Sexocorporel kann hierbei als Modell von wandelbarer Sexualität tatsächlich helfen, aufklären und Hilfestellung zur Veränderung bieten. Das ist zwar noch keine „one fits all“ Formel für guten Sex, aber wir kommen damit schon echt nah dran!
Die Praxis macht’s!
Den größten Vorteil der Methode sehen beide in der Mischung aus Gespräch und körperorientierter Arbeit, in der Neues theoretisch verstanden, aber auch praktisch gespürt werden und der Körper für neue Wahrnehmungen geöffnet werden kann. Daher ist es wichtig, die praktischen Übungen, die es auch in Giannas Buch gibt, nicht zu vernachlässigen. Wer unsicher ist, kann sie gerne zuerst alleine und erst später dann mit Partner*innen gemeinsam machen.
Und keine Angst, falls es sich anfangs vielleicht komisch anfühlt oder der Kopf noch im Weg steht. Neuartige Empfindungen sind oft einfach ungewohnt, aber mit der Zeit gewöhnt der Körper sich an neue Reize und lernt sie sogar zu mögen. Über die Neuerungen und Variationen wird das Lustempfinden wieder flexibler, lässt sich von mehr Dingen aktivieren und wird so auch autonomer von alten Mustern, die das eigenen sexuelle Repertoire vorher unbewusst eingeschränkt haben.
Daher lohnt es sich nachzuhalten: Was hat mich sexuell geprägt? Welche Vorbilder hatte ich und welche sexuellen Erfahrungen habe ich bisher gemacht? Deckt sich das, was ich über Sex und Lust gelernt habe, eigentlich mit dem, was ich wirklich mag oder was mir aktuell gefällt? Was gefällt mir hingegen überhaupt nicht und spielt das vielleicht trotzdem gerade eine Rolle in meiner (Paar-)Sexualität? Wenn wir „guten Sex“ nur davon abhängig machen, ob alles automatisch mit einem*r Partner*in passt, dann bleiben unsere Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung auf der Strecke. Dabei könnte es so entspannt sein: Der gemeinsame Sex ist irgendwie noch nicht das, was alle Beteiligten glücklich macht? Kein Problem, dann wird eben einfach nachgeforscht und gelernt, was stattdessen gefällt!
Breath and move it – Auch im Alltag!
Durch die praktischen Übungen verbessert sich die Körperwahrnehmung, was nicht nur im sexuellen Kontext Veränderungen mit sich bringt, sondern auch im alltäglichen Leben. Die Strategien, die dich ins Spüren bringen, helfen auch dabei Anspannungen abzubauen, Heulkrämpfe oder Wut aufzulösen und damit die Kontrolle über das eigene Wohlbefinden zu steigern. Und wie soll das gehen? Ganz einfach, indem du beginnst auf deine Atmung zu achten!
Wie fühlt die sich gerade an und wie in stressigen Momenten oder sexy Situationen? Atmest du gerade flach oder doch tief in den Bauch? Ersteres ist normal und manchmal sogar hilfreich in Stresssituationen. Aber um Entspannung zu fördern und in Erregung zu kommen, sollte die Atmung tief in den Bauchraum gelenkt werden.
Gianna erinnert sich selbst zum Beispiel immer daran, auf ihre Atmung zu achten, wenn sie durch einen Türrahmen geht. Nimm das doch auch mal zum Anlass für einen Check, wie sich deine Atmung gerade anfühlt, und um herauszufinden, was dein Muster ist. Danach kannst du testen, wie sich gezielt tiefe Atmung während deiner Masturbation anfühlt und ob sie dein Empfinden positiv verändert. Sobald du darin ein wenig Routine bekommen hast, kannst du deine neue Atemtechnik dann auch beim Paarsex einsetzen.
Neben der Atmung ist auch Bewegung ein großer Dreh- und Angelpunkt für gesteigertes oder verändertes Lustempfinden. Falls du eine Vagina hast und dir wünschst, während der Penetration durch ein Toy oder einen Penis lustvolle Gefühle zu haben, dann setz dein Becken in Bewegung! Mehr aktive Bewegungen ermöglichen ein bewusstes Hineinspüren in deinen Körper und fördern auch die Durchblutung.
Außerdem lockert Bewegung Körperanspannung auf. Für viele Personen ist Anspannung zwar der bewährte Weg zum Höhepunkt, der aber einen krassen Fokus benötigt und sich daher leicht stören lässt. Dadurch sind viele Menschen einfach schnell „raus“ aus ihrem Lustaufbau, wenn sie „gestört“ werden und müssen wieder von vorne beginnen. Bewegung, Atmung und Muskelspannung ziehen sich wie ein roter Faden durch Giannas Buch, denn sie sind gleichzeitig die Auslöser und Stellschrauben für unsere Lustentwicklung. Wie gut, dass wir diese Werkzeuge alle schon parat haben und nur unseren Umgang mit ihnen verfeinern müssen!
Mehr Lust auf Sex oder mehr Sex, auf den du Lust hast?!
Obwohl ihr das Thema Unlust super häufig begegnet, hält Gianna sie nicht für die größte Herausforderung in unserer Sexualität. Sie hält Lustlosigkeit stattdessen für ein Symptom unseres verschobenen Verständnisses von Sexualität. Wir sollten nicht fragen, wie wir wieder mehr Lust auf unseren alten Sex bekommen, sondern wie neuer Sex aussehen kann, auf den wir Lust haben!
Fragt euch deshalb gerne immer wieder neu: Auf welche Art und Weise und wo möchte ich berührt werden? Wann bekomme ich (im Alltag) Lust? Schaffe ich überhaupt genug Raum und Entspannung, um lustvollen Sex mit mir selbst oder anderen zu haben? Auf was habe ich keine Lust (mehr) und begegnet mir das vielleicht trotzdem im Bett? Viele weitere Probleme beim Sex können allein dadurch behoben werden, dass wir Sex haben, den wir als wirklich lohnenswert empfinden.
Also gib dir die Erlaubnis, dich zu verändern und deine Lust immer wieder neu zu entdecken. Und gib dir auch die Erlaubnis Sex einmal keine Rolle in deinem Leben spielen zu lassen, wenn du für eine Weile kein oder lieber nie ein sexuelles Wesen sein willst. Du musst kein Sexleben führen, von dem du denkst, dass es allgemein für geil, richtig oder „normal“ gehalten wird. Sondern du solltest Sex haben, den du selbst liebst.
Über Cleo Libro
Im Frühling 2018 kam Cleo zur Welt, als ich mir diesen Namen gab, um zum ersten Mal in einem Podcast über meine offene Beziehung zu sprechen. Mit den Jahren gesellten sich weitere Themen zu meinem regelmäßigen Tabu-Kaffeeklatsch: Weibliche Sexualität, Dating, Masturbation, Konsens und weiteres aus dem Bereich „Lust und Frust einer promisken Frau.“
Seit Januar 2021 existiert mein Blog Cleographie, wo ich meine in Schrift gefassten Gedanken und Erfahrungen zu Non-Monogamy, Zwischenmenschlichkeit und Feminismen veröffentliche. Eine Bauchidee, die stetig zu einem Herzprojekt heranwuchs, weil sie meine Begeisterung für Sprache, Schriftmedien und Sexualität vereint.
Kommunizieren komplettiert mich. Neues lernen fasziniert mich. Schreiben ist mein Versuch etwas von dieser Energie weiterzugeben.
Insta: @cleo.libro
Beschreibe dich in 3 Worten: mitteilsam, mitfühlend, mitreißend
Worin bist du besonders gut: Genießen und mich für etwas begeistern
Was sind deine absoluten Herzensthemen: Alternative Beziehungskonzepte, Kommunikation, Selbstbestimmung und generell alles Zwischenmenschliche oder Sexuelle, das tabuisiert wird.
Welche Kondomsorte wärst du und warum?
Ich wäre ein Kondom von Releaf, weil es super nice riecht/schmeckt, angenehme Haptik und Feuchtigkeit hat und für meine Anwendung ein neuer Baum gepflanzt würde. Außerdem hätte mein Hersteller dann einen guten Humor: Ich sag nur, „Forst pflanzen anstatt fortpflanzen“, hihi.
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