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Erfüllte Sexualität in Langzeitbeziehungen – Wie kann das klappen? #Folge70

Text zur Podcast-Folge 70, verfasst von Cleo Libro.


Magdalenas Gast in Folge #70 ist ihr Fachkollege Autor, Sozial- und Sexualpädagoge Carsten Müller. Carsten ist Experte auf dem Gebiet „Sexualität“, führt die Fachberatungsstelle Sexualität in Duisburg und arbeitet zudem noch als Sexual- und Paartherapeut. Letzteres prädestiniert ihn als erfahrenen Gesprächspartner für das aktuelle sexOlogisch Thema „Sex in Langzeitbeziehungen“.


Im April 2022 veröffentlicht Carsten das Kartenspiel „Talk About It“, das sich explizit an Paare richtet, die miteinander alte und neue Aspekte ihrer geteilten Sexualität spielerisch besprechen möchten. Denn „Kommunikation über Sexualität in Langzeitbeziehungen ist die Champions League“ und laut Carsten außerdem in ihrer Wichtigkeit für ein langlebiges und erfülltes Sexualleben nicht zu unterschätzen.



Das spannende Thema Sex in langen Partnerschaften wird auch in der Sexual- und Paarberatung äußerst häufig besprochen, berichten Magdalena und Carsten. Hierbei ist der Klassiker: Nachlassende Lust und nachlassende Häufigkeit von partnerschaftlicher Sexy Time. Daher lautet die Frage oft, wie die gemeinsame sexuelle Intimität auch nach Jahren der Beziehung aufrechterhalten werden kann. Vor allem, wenn das Paar in ihrer gemeinsamen Zeit neuen Herausforderungen wie Elternschaft, Untreue oder Uneinigkeit über sexuelle Bedürfnisse begegnet ist.


Lustlosigkeit hat viele Gesichter


Aber was bedeutet überhaupt „lustlos sein“? Auf was genau wird keine Lust gehabt? Fehlt die Lust nur im richtigen Moment und sind Frauen häufiger lustlos als Menschen anderen Geschlechts? Die Antworten auf diese Fragen sind natürlich sehr individuell. Trotzdem kann direkt mit dem Vorurteil aufgeräumt werden, dass meistens die Frauen lustlos sein sollen. Carsten und Magdalena erleben stattdessen eine Ausgeglichenheit zwischen den Geschlechtern. Denn Lustlosigkeit beziehungsweise fehlende Leidenschaft kann sehr unterschiedliche Gründe haben.


Außerdem ziehen viele Paare den ziemlich unfairen Vergleich zu genau der Leidenschaft, die sie füreinander in den heißen Anfängen ihrer Beziehung empfunden haben. Dabei ist diese Verliebtheitsphase buchstäblich ein hormoneller Ausnahmezustand für den Körper, der alle Ressourcen für die Fortpflanzung einsetzt. Dieser rauschhafte Zustand kann gar nicht sehr viel länger als einige Monate andauern, denn das wäre eine viel zu hohe Belastung. Und eigentlich wäre es doch auch schade, wenn wir nie in die Situation kommen würden, unsere Paarsexualität gemeinsam weiterentwickeln zu können! Carsten betrachtet eine sich verändernde Leidenschaft als Potenzial für Wachstum.


Der Schlüssel und die größte Herausforderung gleichzeitig ist dabei, eine Kommunikation über die eigenen Bedürfnisse und die gemeinsam gelebte Sexualität zu finden, die einander weder verschreckt noch verletzt. Carstens Tipp: Kommuniziert nicht erst oder ausschließlich, wenn es um Probleme geht! Sprecht außerdem nicht erst „im Eifer des Gefechts“ miteinander, sondern schafft euch einen Raum, der speziell für diesen Austausch gedacht ist und auch Platz für positive Rückmeldung lässt. So kann in individuellem Tempo das Bewusstsein für die geteilte Situation geschaffen und Scham und Angst vor Ablehnung können abgemildert werden.


Übrigens kann Carstens Kartenspiel die Hürde der Themenfindung nehmen und dabei helfen, dass es sich nicht so ungewöhnlich anfühlt, sich fürs „Reden über Sex“ zu verabreden.


It’s a Date!


Auch zum Sex oder zur intimen Paarzeit darf sich verabredet werden. Was erst einmal unsexy klingen mag, ist ein zuverlässiger Tipp, um dem Beziehungs-Lustkiller Nummer eins entgegenzuwirken: Dem Alltag und seinen Routinen, die geteilte Intimität immer erst ganz hintenanstellen. Stattdessen räumt man auch der gemeinsamen Sexualität und Nähe eine Regelmäßigkeit ein, sodass sie nicht mehr untergeht, wenn kein Antrieb für Spontaneität bleibt.


Denn entgegen der häufig bemühten medialen Bilder von leidenschaftlichem Sex, muss dieser nicht immer und ausschließlich aus spontan überwältigender Leidenschaft entstehen, um dann ohne jegliche Kommunikation miteinander perfekt inszeniert abzulaufen. Dabei steht der Hollywood-Mythos vom blinden Verständnis im Bett vielen Menschen beim erreichen erfüllter Sexualität im Weg. Wir können nicht voraussetzen, dass unsere Sexpartner*innen wissen, was wir mögen oder unbedingt ausprobieren wollen, ohne dass wir es ihnen mitteilen…oder sogar ohne selbst darüber Bescheid zu wissen.


Für Magdalena ist vor allem wichtig, dass jede Person für sich selbst herausfindet, was sie anturnt und wann sie sich selbst als „begehrend“ erlebt. In der Lage zu sein, konkrete Antworten auf die Frage zu geben, was man selbst mag, erleichtert den Weg zurück in eine geteilte Lust.


Wie kommunizieren wir unsere Lust?


Woran kann mein*e Partner*in eigentlich merken, dass ich Lust auf Sex habe? Wenn man nicht allzu direkt nach Sex fragen möchte, könnte man untereinander Codewörter ausmachen oder austesten, ob ein „Booty-Call“ als Kurznachricht in die Dynamik des Paares passt. Die Möglichkeiten sind vielfältig und ihr seid eingeladen kreativ zu werden! Der Sex in Langzeitbeziehungen scheitert nach Carstens Erfahrung häufig gar nicht daran, dass keine Lust da ist, sondern dass die Lust der Beteiligten nicht zur gleichen Zeit entsteht oder bemerkbar gemacht wird.


Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen andauernd gleichzeitig Lust (aufeinander) empfinden ist ziemlich gering, wenn man sich nicht mehr in der dauergeilen Verliebtheitsphase befindet. Also muss mehr für die Lustbildung unternommen werden und das ist vollkommen normal. Außerdem kann gelten: Der Appetit kommt beim Essen! Das kann bedeuten, auch wenn ihr zu Beginn eures verabredeten Dates zur intimen gemeinsamen Zeit noch keine Lust auf Sex habt, kommt euch erst einmal nahe. Konsensuelle körperliche Nähe schüttet intimitätsbildene Hormone aus, entspannt die Beteiligten und kann so besser in lustvoller Zweisamkeit enden.


Und auch wenn einmal wirklich keine Lust entstehen sollte, ist es empfehlenswert darüber zu sprechen. Die Ablehnung sexueller Intimität kann schnell als Kränkung empfunden werden, weshalb es sich lohnt, wertschätzende Kommunikation zu erlernen. Ganz wie eine neue Sprache benötigt eine wertschätzende Ablehnung von Lust und der Umgang mit der Unlust des*der Partners*in ein eigens erlerntes Vokabular und Übung in der Anwendung. So ein Wortschatz kann beispielsweise in einer Paartherapie erworben werden. Aber auch generelle Richtlinien zur gewaltfreien Kommunikation und gegenseitiger Abfrage von Konsens können hier schon weiterhelfen.


Findet euren eigenen Flow


Hartnäckig hält sich der Glaubenssatz, dass es ein schlechtes Zeichen für eine Liebesbeziehung sei, sobald der Sex seltener stattfindet. Dabei sagt das überhaupt nichts über die Qualität der Partnerschaft aus, solange die Partner*innen sich damit wohlfühlen. Wenn dann darüber hinaus auch noch vertrauensvoll angesprochen werden kann, sollte jemand doch damit unzufrieden werden, dann steht einer erfüllten Sexualität auch nach einer langen gemeinsamen Zeit nichts im Weg.


Aber auch andersherum muss nicht die hundertprozentige Offenheit das Ziel in (sexuellen) Beziehungen sein. Nicht jede Fantasie muss laut Carsten miteinander geteilt und durchgesprochen oder gar zur Debatte gestellt werden. Auch innerhalb von Partnerschaft sollte Privatsphäre gelebt werden können, die eingefordert und umgesetzt werden darf. Geheimnisse und Alleinzeit dürfen zugelassen werden, da die komplette Verschmelzung mit der anderen Person nicht das Ziel ist.


Wissen ist sexy!


Ein letzter wichtiger Punkt für eine erfüllte Paarsexualität ist übrigens ein guter Wissensstand über biologische Aspekte von Körpern jeglichen Geschlechts und Sex im Allgemeinen. Wer denkt, „ich weiß ja eh wie alles geht“, muss oft feststellen, dass das ein Irrglaube ist. Carsten plädiert für mehr Angebote zur sexuellen Bildung von Erwachsenen, die durch Kostenübernahme von Krankenkassen gefördert werden. In seinen Augen dient eine glücklich gelebte Sexualität der allgemeinen Lebenszufriedenheit und Gesundheit.

Sexualität und sexuelle Gesundheit sind genauso wenig Luxusthemen wie es „Jammern auf hohem Niveau“ sei, wenn Menschen sexuelle Frustration erleben. Daher gilt für Singles ebenso wie für Menschen in Partnerschaften: Seid es euch wert, Zeit und Entdeckungslust in die sexuelle Beziehung zu euch selbst und anderen zu investieren.


 

Über Cleo Libro

Im Frühling 2018 kam Cleo zur Welt, als ich mir diesen Namen gab, um zum ersten Mal in einem Podcast über meine offene Beziehung zu sprechen. Mit den Jahren gesellten sich weitere Themen zu meinem regelmäßigen Tabu-Kaffeeklatsch: Weibliche Sexualität, Dating, Masturbation, Konsens und weiteres aus dem Bereich „Lust und Frust einer promisken Frau.“

Seit Januar 2021 existiert mein Blog Cleographie, wo ich meine in Schrift gefassten Gedanken und Erfahrungen zu Non-Monogamy, Zwischenmenschlichkeit und Feminismen veröffentliche. Eine Bauchidee, die stetig zu einem Herzprojekt heranwuchs, weil sie meine Begeisterung für Sprache, Schriftmedien und Sexualität vereint.

Kommunizieren komplettiert mich. Neues lernen fasziniert mich. Schreiben ist mein Versuch etwas von dieser Energie weiterzugeben.

Insta: @cleo.libro


Beschreibe dich in 3 Worten: mitteilsam, mitfühlend, mitreißend


Worin bist du besonders gut: Genießen und mich für etwas begeistern


Was sind deine absoluten Herzensthemen: Alternative Beziehungskonzepte, Kommunikation, Selbstbestimmung und generell alles Zwischenmenschliche oder Sexuelle, das tabuisiert wird.


Welche Kondomsorte wärst du und warum?

Ich wäre ein Kondom von Releaf, weil es super nice riecht/schmeckt, angenehme Haptik und Feuchtigkeit hat und für meine Anwendung ein neuer Baum gepflanzt würde. Außerdem hätte mein Hersteller dann einen guten Humor: Ich sag nur, „Forst pflanzen anstatt fortpflanzen“, hihi.

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