Text zur Podcast-Folge 82, verfasst von Cleo Libro.
Zu Gast im SexOlogisch Podcast Ausgabe #82 ist Madita Oeming, weil sie Pornowissenschaftlerin von Beruf und deshalb eine mehr als interessante Gesprächspartnerin ist! Nein, „Pornowissenschaftlerin“ ist keine offizielle Berufsbezeichnung, aber es beschreibt gut, worum es in Maditas Arbeit geht. Nämlich um die wissenschaftliche Annäherung und Untersuchung verschiedenster Themen rund um und in Pornografie aus einer kultur- und medienwissenschaftlichen Perspektive.
Pornografie wird hierbei als kulturelles Medium betrachtet, es wird analysiert, was darin dargestellt wird und wie sich diese Darstellung historisch entwickelt. Außerdem wird eingeordnet welchen gesellschaftlichen Platz sie seit ihrer Entstehung bis heute in verschiedenen Kulturen einnimmt.
Es geht Madita also nicht um die Wirkung von Pornos auf biologisch-sexueller Ebene, sondern um den Blick auf die Erzählungen in Pornografie, ihre Ästhetik und deren kulturelle Einordnung.
Pornokonsum…natürlich für die Wissenschaft
Häufig wird Madita gefragt, ob das bedeuten würde, dass sie sich den ganzen Tag nur Pornos ansieht und dabei wird angedeutet, was für ein lockerer Job das sein müsse. Dahinter steht die Annahme, man könne Pornos nicht mit einem analytischen Auge betrachten und sich ihrer Wirkung nicht entziehen. Doch weder diese Annahme noch die Vermutungen über Maditas „Tagesgeschäft“ stimmen. Sie arbeitet im normalen Wissenschaftsbetrieb, liest und recherchiert viel und lehrt an der Universität.
Trotzdem fassen viele Leute „Pornos schauen als Beruf“ als etwas auf, das eine Frau größere Überwindung kosten müsse als einen Mann, weil es ihr unangenehm sein könnte. Während andere annehmen, dass sie dadurch den ganzen Tag horny sei und ständig masturbieren würde.
Auch das weist Madita zwar mit Humor, aber trotzdem sehr bestimmt von sich. Stattdessen hat sie einen beruflichen Modus des Pornokonsums entwickelt, der distanziert ist und nichts mit ihrer persönlichen Sexualität zu tun hat. Darüber hinaus steht sie auch gar nicht auf alles, was sie sich für ihre Forschung so anschaut.
Außerdem konsumiert Madita Pornos auf eine recht ungewöhnliche Weise: Sie sucht das Material nicht danach aus, was sie erregt, so wie es die meisten Leute machen. Sondern sie beforscht viele unterschiedliche Kategorien und Gebiete. Deshalb schaut sie sich letztlich ein viel breiteres Spektrum an Szenarien, Praktiken und Darstellungen an. Manchmal entdeckt Madita dadurch Kinks oder Szenen, bei denen ihr vorher gar nicht bewusst war, dass sie sie sogar anturnen würden. Wir sollten wohl alle mehr über den Tellerrand hinaus Pornos schauen!
Mythen über Pornos halten sich hartnäckig
Einmal im Gespräch mit einer Pornowissenschaftlerin, sollte auch direkt ein bisschen myth busting über Pornografie betrieben werden. Denn dass es noch jede Menge hartnäckigen Irrglauben und Tabus über diesen Aspekt von Sex gibt, wird sehr schnell sichtbar.
Mythos eins, der sich standhaft hält: „Nur Männer gucken gerne Pornos bzw. nur selten bekommen Frauen dadurch Lust, wenn sie Pornos schauen.“ Es ist richtig, dass ein Großteil der Konsumierenden weltweit cis männlich und heterosexuell ist. Statistiken der letzten Jahre deuten allerdings an, dass sich das langsam ändert. Zum Beispiel geben zwischen 25% und 30% der Frauen in Umfragen an, Pornos zu schauen (Madita ist also nicht die einzige!). Dass sich dieser Mythos aber bis heute so gut halten kann, liegt laut Madita im geschlechtlich binär gestalteten Bild vom Mainstream-Porno und dem gesellschaftlich unerwünschten Konsum von Sexfilmen durch Frauen begründet.
Mythos zwei bezieht sich darauf, dass die Auswahl der Inhalte von Pornos, die man trifft, direkt etwas über die eigenen aktiven Vorlieben aussagen würde. Das würde im extremeren Umkehrschluss bedeuten, wer sich im Film eine gespielte Vergewaltigungsszene ansieht, könnte in Realität auch keine feministische oder Gewalt ablehnende Grundhaltung einnehmen. Das stimmt natürlich in Bezug auf Pornokonsum genauso wenig wie bei anderen sexuellen Fantasien.
Sich gegen Ausbeutung vor und hinter der Kamera am Pornoset zu positionieren ist richtig – geschenkt! Aber Menschen dafür zu shamen, dass es sie erregt, wenn sie Szenen sehen, in denen Leute „hart rangenommen“ werden, das findet Magdalena unangebracht. Wir können nichts für unsere Fantasien, Kinks oder körperlichen Reaktionen! Das, was wir gerne im Porno sehen, ist nicht unbedingt das, was wir wirklich erleben möchten. Die wenigsten werden wahrscheinlich wirklich mit ihrer Stiefmutter schlafen wollen, nachdem sie einen Film der beliebten „step mom“-Kategorie gesehen haben. Was zählt und uns anmacht, ist das aufregende und erregende Tabu in dieser Grenzüberschreitung, erklärt Madita.
Mehr Medienkompetenz statt Mythen!
Beim dritten Mythos dreht sich alles um Gewalt. „In 90% aller Pornos wird Gewalt gezeigt“ lautet es in feministischen Diskursen häufig. Diese pauschale Aussage basiert laut Madita häufig auf Studien, denen einseitige Interpretationen oder Umfragen zugrunde liegen, die nicht in dieser Absolutheit aussagekräftig seien. Oft wird schon eine Betitelung als „slut“ oder ein Griff an den Hals mit leichtem Würgen zur Definition von Gewalt gezählt, wodurch sich dieser hohe Prozentsatz erklären lässt.
Madita hält das für eine Verzerrung und auch Verharmlosung tatsächlicher Gewalt. Das dadurch begründete „ganzheitliche Verteufeln von Pornografie“ verhindert laut Madita die tatsächliche Auseinandersetzung mit den wirklich schädlichen Produktionsbedingungen. Dadurch wird letztlich eine Verbesserung der Gesamtsituation nur erschwert.
Mythos vier dreht sich um die „durch Pornos sexuell überreizten und verrohrten Jugendlichen“, die seit Jahren heraufbeschworen werden, jedoch bisher in Realität nirgends zu finden sind. Magdalena spricht mit den Jugendlichen in ihren Workshops auch über Pornokonsum und bekommt den Eindruck, dass die Kids schon wissen, dass es sich bei Pornografie nicht um Dokus über Sex, sondern eher um Actionfilme handelt, die durchaus nicht die Realität abbilden.
Der letztliche Umgang mit Pornos ist bei vielen Jugendlichen demnach ziemlich reif und medienkompetent. Demnach ist auch die „maßlose Überforderung“ mit der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Sex eher ein Schreckgespenst der Elterngeneration als eine tatsächliche Belastung für die Jugend.
Madita und Magdalena sind sich einig, dass Kinder und Jugendliche die Möglichkeit zum Besprechen des Gesehenen mit Betreuungspersonen erhalten sollten. Damit sie möglicherweise verwirrende Gefühle wie Erregung oder Ekel verarbeiten können, anstatt dass erfolglos versucht wird, Jugendliche komplett von pornografischem Material abzuschirmen. In Zeiten des Internets funktioniert das sowieso nur so halb gut.
In welche Richtung sollte es gehen, Madita?
Wenn es nach Madita ginge, dann könnte Pornografie als Medium ein paar der Mythen und Stereotype ruhig hinter sich lassen. Beispielsweise das Bild der Frau als ewige „Gatekeeperin ihrer Körperöffnungen“, die sich zunächst immer gegen Sex sträubt und überzeugt werden müsse. Außerdem sollten wir abkommen von der strikten Trennung von Humor und Sex, genauso wie der vermeintlichen Unvereinbarkeit von offener Kommunikation und Sex. Das Austauschen von Wissen über Vorlieben und Grenzen lässt die intime Situation nämlich in Wahrheit gar nichts von ihrer Sexiness einbüßen. Ganz genauso wenig übrigens, wenn beim Sex gelacht wird, weil etwas Komisches passiert. Wer hat eigentlich behauptet, Sex und Porno müssten andauernd elegant oder streng und ernst ablaufen?
Tatsächlich hängt es Madita besonders zum Hals raus, wenn weiterhin pauschal behauptet wird, dass Pornografiekonsum süchtig machen würde. In Wahrheit ist „Pornosucht“ nämlich überhaupt keine anerkannte Diagnose, erklärt sie. Die wissenschaftliche Lage dazu ist wesentlich ambivalenter als es populärwissenschaftlich häufig anklingt.
Aber am meisten ärgert sie dieser im feministischen Diskurs beliebte Mythos: „Es gibt nur eine Pornovulva und wir bekommen keine Vielfalt zu sehen. Deswegen tragen wir bestimmte Schönheitsideale mit uns rum.“ Ganz im Gegenteil dazu findet Madita, dass wir selten so viel genitale Vielfalt vor Augen geführt bekommen wie im Porno. Auch Ergebnisse intimchirurgischer Eingriffe sieht man in Pornos nicht auffallend häufig. Madita ist besonders genervt von diesem Mythos, weil er so leicht zu widerlegen ist und sich trotzdem wacker hält.
Dabei sollte es am Ende beim Sex nicht um den Look gehen, sondern ums Spüren der eigenen Genitalen und des ganzen Körpers! Pornografie zu verteufeln und für sexuelle Probleme von Jung und Alt verantwortlich zu machen, ist eine einfache Strategie, die der Komplexität bestehender sexueller Tabus und gesellschaftlicher Hürden allerdings nicht gerecht wird. Also sollte einfach gelten: Wer Pornografie blöd findet, der*die muss sie nicht konsumieren. Und wer das aber doch tun möchte, der*die soll das tun dürfen und am besten für den eigenen Pornokonsum fair bezahlen.
Über Cleo Libro
Im Frühling 2018 kam Cleo zur Welt, als ich mir diesen Namen gab, um zum ersten Mal in einem Podcast über meine offene Beziehung zu sprechen. Mit den Jahren gesellten sich weitere Themen zu meinem regelmäßigen Tabu-Kaffeeklatsch: Weibliche Sexualität, Dating, Masturbation, Konsens und weiteres aus dem Bereich „Lust und Frust einer promisken Frau.“
Seit Januar 2021 existiert mein Blog Cleographie, wo ich meine in Schrift gefassten Gedanken und Erfahrungen zu Non-Monogamy, Zwischenmenschlichkeit und Feminismen veröffentliche. Eine Bauchidee, die stetig zu einem Herzprojekt heranwuchs, weil sie meine Begeisterung für Sprache, Schriftmedien und Sexualität vereint.
Kommunizieren komplettiert mich. Neues lernen fasziniert mich. Schreiben ist mein Versuch etwas von dieser Energie weiterzugeben.
Insta: @cleo.libro
Beschreibe dich in 3 Worten: mitteilsam, mitfühlend, mitreißend
Worin bist du besonders gut: Genießen und mich für etwas begeistern
Was sind deine absoluten Herzensthemen: Alternative Beziehungskonzepte, Kommunikation, Selbstbestimmung und generell alles Zwischenmenschliche oder Sexuelle, das tabuisiert wird.
Welche Kondomsorte wärst du und warum?
Ich wäre ein Kondom von Releaf, weil es super nice riecht/schmeckt, angenehme Haptik und Feuchtigkeit hat und für meine Anwendung ein neuer Baum gepflanzt würde. Außerdem hätte mein Hersteller dann einen guten Humor: Ich sag nur, „Forst pflanzen anstatt fortpflanzen“, hihi.
Comments