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Trans*identitäten

Im Gespräch mit Sprach- und Geschlechtswissenschaftler Dr. Persson Perry Baumgartinger

Artikel zur Podcastfolge 52 - "Transidentitäten" des sexOlogisch Podcast

verfasst von Kaspar Felix Käding


„Was darf ich denn überhaupt noch sagen?“, fragen sich viele Menschen, wenn sie damit konfrontiert werden, dass sie diskriminierende Strukturen in ihrer Sprache verwenden. Sprach- und Geschlechtswissenschaftler Dr. Persson Perry Baumgartinger und sexOlogisch-Hostin Madgalena Heinzl gehen diesem Gefühl des vermeintlichen Nichts-mehr-sagen-Dürfens in der Podcastfolge Transidentitäten auf den Grund und klären auf – über Sprache und ihre Macht, über Transidentität und Begriffe rund um Trans*, über Intersektionalität und über das Konzept der Skeptischen Neugierde.



Einmal vorstellen, bitte: Dr. Persson Perry Baumgartinger

Wenn es um das Thema Sensible Sprache geht, sollte es natürlich nicht an einem Linguisten fehlen: Dr. Persson Perry Baumgartinger ist Spezialist in den Gebieten Sprachwissenschaft, Gender Studies und Sozialwissenschaften und als Autor, Lehrender, Forscher und Wissenschaftscoach und -trainer tätig. Mit seiner Dissertation über den sogenannten Transsexuellen-Erlass in Österreich, der von 1980 bis 2010 gültig war, zeigte er die diskriminierenden Strukturen des österreichischen Staates gegenüber trans* Personen auf und publiziert und lehrt seitdem rund um die Themen Trans*, Geschlecht, Sprache und Macht.




Foto: Caro Kadatz


Sprachkurs: Die wichtigsten Begriffe zum Thema Trans* auf einen Blick


„So viele Begriffe“, werden vielleicht einige denken, „wie soll man da den Überblick behalten?“ Eigentlich ist es gar nicht so kompliziert, wenn man sich einmal vor Augen führt, dass es uns Menschen schon immer in unfassbar vielfältigen Ausprägungen gibt. Absurd ist eher, dass die Gesellschaft beschlossen hat, unsere Vielfalt – sei es im Bereich Geschlecht, Körper, Hautfarbe, Gesundheit, und und und – auf möglichst wenige Kategorien herunterzubrechen. „Das ist einfach Bullshit“, erklärt Persson – denn nicht Einseitigkeit ist „normal“, sondern Vielfalt.


Das binäre Geschlechtermodell


Zunächst gilt es also, das grundlegende Paradigma aufzubrechen, es gebe ein sogenanntes binäres Geschlechtermodell (auch: Geschlechterbinarität, Zweigeschlechtlichkeit), bestehend aus den zwei Kategorien Mann und Frau. Diese beiden Optionen werden gerne als die Norm vermittelt, dabei sind es nur zwei von vielen möglichen Varianten, wie das Geschlecht eines Menschen ausgeprägt sein kann – ignoriert werden hier auf medizinischer Ebene intergeschlechtliche Personen und auf gesellschaftlicher Ebene all diejenigen, die sich von den binären Kategorien nicht abgedeckt fühlen. Durch das Hervorheben der binären Pole Mann und Frau wird außerdem suggeriert, dass diese beiden Optionen die Norm sind und dass alles andere, was davon abweicht, als abnorm zu behandeln ist.

Um nicht eine große Masse an Menschen zu diskriminieren, sollten wir von diesem binären Kategorisierungszwang und dieser Normierung wegkommen.

Cis und trans


Um für Gleichberechtigung in der Sprache zu sorgen, haben Sprachwissenschaftler*innen für die Beschreibung der Geschlechtszugehörigkeit zwei Begriffe eingeführt: Cisgeschlechtlichkeit undTransgeschlechtlichkeit (auch: Cisgender und Transgender). Eine cisgeschlechtliche (kurz: cis) Person identifiziert sich mit dem Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde – eine transgeschlechtliche (kurz: trans) Person hingegen stellt eine Diskrepanz zwischen dem zugewiesenen und dem empfundenen Geschlecht fest. Die Begriffe cis und trans sollen als wertfreie Beschreibungen dienen, um die Geschlechterzugehörigkeit zu definieren – beides sind mögliche Normvarianten menschlicher Geschlechtlichkeit und nicht etwa Norm und Abnorm.


Transsexualismus


Ein Begriff, der im Kontext Trans* noch immer regelmäßig auftaucht, aber nicht zeitgemäß ist, ist der des sogenannten Transsexualismus. Er stammt aus der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen (ICD), dem bekanntesten Klassifikationssystem für Krankheiten – und hier merkt man schon: Es ist von Krankheiten die Rede. Transsexualismus ist eine ICD-Diagnose und wird als Persönlichkeitsstörung („Störung der Geschlechtsidentität“) eingestuft. Im Klartext bedeutet das, dass bis heute trans* Personen als krank und gestört klassifiziert werden, sowohl von der Medizin als auch vom Staat. Allein aus diesem Grund ist die Fremdbezeichnung transsexuell abzulehnen, zumal sie impliziert, dass es um eine sexuelle Identität geht, obwohl tatsächlich die Geschlechtsidentität betroffen ist.


Ein kleiner Tipp von Sprachhistoriker Persson: Wenn ein Begriff von einer marginalisierten Gruppe abgelehnt wird, hat das in der Regel einen historischen Grund, der ernst zu nehmen ist. Es ist eine Frage des Respekts, auf diskriminierenden Sprachgebrauch zu verzichten, und nur die marginalisierten Gruppen selbst können bestimmen, welche Begriffe für sie verletzend sind. Begriffe wie Transsexualismus sind Fremdbestimmungen (d. h. die betroffene Gruppe hat den Begriff nicht selbst für sich gewählt), Stigmatisierungen (d. h. mit dem Begriff werden negative Vorurteile verbunden) und Pathologisierungen (d. h. der Begriff wird zum Synonym für eine Krankheit oder Störung). Trans* Aktivist*innen haben bereits einen langen Weg zurückgelegt, sich gegen Fremd- und für Selbstbestimmung einzusetzen – das heißt, hier können wir einfach eines tun: Zuhören und Lernen.


Travestie und Transvestitismus


Ein Begriff, der wiederum gar nichts mit der tatsächlichen Geschlechtsidentität zu tun hat, ist der der Travestie. Travestie ist Performance, Show, Arbeit – und heute hat sich im Sprachgebrauch der Ausdruck von Drag Shows durchgesetzt. Hier verkleiden sich Personen als sogenannte Drag Queens oder Drag Kings und spielen bewusst eine Rolle als Form des Entertainments. Die Geschlechtsidentität der Drag Queens und Kings spielt dabei keine Rolle.


Was damit gern verwechselt wird, ist hingegen der sogenannte Transvestitische Fetischismus. Hierbei handelt es sich um eine Sexualpraktik, bei der ein sexuelles Geschlechterrollenspiel zum Lustgewinn führt. Auch dieser Begriff ist stark stigmatisiert und sollte als Fremdbezeichnung vermieden werden.


Diskriminierung ist immer intersektional


Was Persson aber auch am Herzen liegt, zu betonen, ist: Man kann sich nie auf eine Form der Diskriminierung beschränken und diese gesondert in einer Einzelrolle betrachten. Unsere Gesellschaft klassifiziert nicht nur Geschlechter, sondern auch alles andere, z. B. Hautfarbe, soziale Klasse, Körperform, Gesundheitszustand, … Uns wird das Bild einer stereotypen Normperson vermittelt, die in der Regel cis, binär, weiß, gesund, dünn und wohlhabend ist. Von dieser Norm kann man folglich auf verdammt vielen Ebenen abweichen – und sobald man von der Norm abweicht, läuft man Gefahr, diskriminiert zu werden. Deshalb ist es wichtig, dass sich marginalisierte Gruppen zusammentun, dass sie sich austauschen, dass sie Missstände feststellen, auf sie aufmerksam machen und gemeinsam für die Gestaltung einer Gesellschaft agieren, die für eine Vielfalt an Menschen und nicht für eine nichtreale vermeintliche Idealperson geschaffen ist.


Diskriminierung hat immer einen historischen Ursprung


Dass man in den Bereichen Sprache und Soziale Gerechtigkeit also nur transdisziplinär arbeiten kann, sollte bereits klar sein. So hat sich auch Persson gefragt: Woher kommen unsere transfeindlichen Gesetzlichkeiten? Er ist sich sicher: Die Stigmata aus der Zeit des Nationalsozialismus wurden nie aufgearbeitet, sondern weiter in Gesetzen und Erlassen wie dem Transsexuellen-Erlass verarbeitet. Wie kann es sonst sein, dass bis 2010 für trans* Personen noch immer eine Zwangssterilisierung gesetzlich vorgeschrieben war, dass es Zwang zu Operationen, zu selbst zu zahlenden Therapiestunden, zur Hormoneinnahme und zur Selbstdefinierung als psychisch krank gab, dass trans* Personen übergriffige Gutachten und Körperuntersuchungen von fremden Menschen über sich ergehen lassen mussten und noch immer müssen? Persson rekapituliert, wie erschütternd es war und ist, festzustellen, in welchem Ausmaß der Staat in Körper, Psyche und Verstand eingreifen darf – und es auch tut. Deswegen ist es umso wichtiger, über diese Missstände zu reden, über sie aufzuklären, und dafür zu mobilisieren, dass staatliche Maßnahmen überarbeitet und eingeschränkt werden.


Sprache als Mittel der Macht


Und wie können wir etwas erreichen? Tatsächlich auch mit unserem Sprachgebrauch. Das menschliche Gehirn ist nicht darauf programmiert, Nichtgenanntes „mitzudenken“ – wir denken vielmehr in Bildern und deswegen sind die Bilder, die durch Sprache in unseren Köpfen entstehen, besonders mächtig. Perssons und Magdalenas Plädoyer lautet daher:

Achtet auf eure Sprache. Es geht nicht darum, vor lauter Angst, etwas Falsches zu sagen, gar nicht mehr zu reden, sondern ganz einfach um Folgendes: Wenn euch eine Person darauf aufmerksam macht, dass etwas, das ihr gesagt habt, sie verletzt hat, dann hört zu, merkt euch die Problematik, arbeitet daran, keine verletzenden Sprachmuster mehr zu reproduzieren, und gebt euer Wissen an andere Menschen weiter.

Skeptische Neugierde


Und was können wir als Gesellschaft sonst tun? Persson hat da eine klare Vision: die der Skeptischen Neugierde. Das Konzept kommt aus der kritischen Diskursanalyse, einer Forschungsrichtung der Sprachwissenschaft, und beinhaltet ein ganz einfaches Credo: Sei neugierig, sei skeptisch, nimm Dinge nicht einfach als gegeben hin, sondern hinterfrage alles, entdecke die Welt der Vielfalt. Seit frühester Kindheit wird uns vermittelt, dass es sich am einfachsten leben lässt, wenn man alles im Leben in simple Kategorien einteilt, dabei sollte Vielfalt überhaupt nichts Negatives sein – im Gegenteil: „Wir sollten es einfach feiern. Es sollte Spaß machen“, meint Persson. Nicht Vielfalt schränkt uns ein, sondern das Eingeschossensein auf die immer gleichen zwei Kategorien, sei es richtig/falsch, gesund/krank, weiß/schwarz, Frau/Mann etc.


Okay, noch mal zusammengefasst: Was kann ich tun?


1. Denk daran, dass es mehr als eine oder zwei Perspektiven gibt. Es gibt eine unendliche Vielfalt an Perspektiven – versuche, diese mitzudenken. Sei skeptisch, sei neugierig, nimm die Dinge nie einfach als gegeben hin.


2. Behandle Menschen mit Respekt. Höre zu, was Minderheiten zu sagen haben, glaube ihnen, wenn sie von ihrem Leid erzählen – und wenn dich jemand bittet, z. B. einen Begriff oder eine Redewendung nicht mehr zu verwenden, akzeptiere das und gib das Wissen im besten Fall weiter. Wenn dich eine Person bittet, sie mit einem bestimmten Pronomen oder einem bestimmten Namen anzusprechen, komme dieser Bitte einfach nach. Und falls dir etwas herausrutscht, das jemanden verletzt: Entschuldige dich, verbessere dich, und hake die Sache ab.


3. Sprecht miteinander. Die Vision eines sensibleren Umgangs mit Sprache soll gerade nicht bewirken, dass nicht mehr miteinander gesprochen wird, sondern wir wollen als Gesellschaft an einen Punkt kommen, an dem wir offen, entspannt und ohne diskriminierende Strukturen miteinander kommunizieren können. Das Ziel ist, Sichtweisen zu erweitern, neue Perspektiven zu erschließen und den Diskurs zu fördern und nicht zu unterbinden.


4. Gehe nicht davon aus, dass du weißt, was für eine andere Person das Beste ist. Jede Person kann das nur für sich selbst bestimmen.


Du willst mehr erfahren? Dann hör jetzt in die Folge 52 des sexOlogisch Podcasts rein.

Hier noch die beiden Bücher über die im Podcast gesprochen wurden:


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